TikTok: mitmachen oder boykottieren?

Muss man als Unternehmen auf TikTok sein? Die chinesische App wird weltweit immer beliebter. Allerdings sind die Posts auf der Video-Plattform nicht nebenbei erledigt. Das zeigen die Aktivitäten erfolgreicher TikToker. Außerdem gibt es zahlreiche Vorwürfe hinsichtlich Datenschutz, Diskriminierung und Zensur. 

TikTok: mitmachen oder boykottieren?

Gesang und Tanz, Politik und Meinung

Gesicht zeigen und ein Duett wagen – das kennzeichnet die (in China als Douyin bekannte) Plattform TikTok. Und das schon seit ihren Anfängen, als der Dienst noch musical.ly hieß: Seinerzeit standen Gesangseinlagen und gegenseitiges Vortanzen im Fokus. Jetzt rücken zunehmend Politik, Meinungen und gesellschaftliche Ansichten in den Mittelpunkt. 

So zeigt eine Studie der Technischen Universität München, dass TikTok im politischen Geschehen der USA recht ansehnliche Nutzungszahlen erreicht. Die Forscher haben dafür die Anzahl der TikTok-Views zu bestimmten Hashtags zusammengestellt. So gab es zu #trump 730 Millionen Views auf TikTok. Ähnliche Zahlen ergeben sich bei Hashtags wie #trump2020, #bernie, #bernie2020 und #biden. Wie die Untersuchung weiter zeigt, sind vor allem junge Nutzer auf der Plattform aktiv und „spielen“ ihr Verständnis von Politik. 

Politische Gegner kommen ins Gespräch

Die Duett-Funktion hat dabei eine wichtige Rolle. Der Nutzer antwortet darin mit einem eigenen Video auf ein anderes. Häufig zitiert und „korrigiert“ ein Nutzer die Ansichten des anderen. Das gelingt nicht nur mit der simplen Technik von Rede und Gegenrede, sondern auch mit Überblendungen, Betextungen und Emojis, die auf die Videos gelegt werden. „TikTok hat das Potenzial, politische Kommunikation neu zu definieren“, schreiben die Autoren der Studie. Während andere Plattformen wie Facebook und Co. stark von der Freundestruktur der Nutzer abhängig sind, hat TikTok einen „cross partisan“-Dialog etabliert, sprich: Da kommen durchaus politische Gegner ins Gespräch, ziehen sich gegenseitig durch den Kakao oder widerlegen schlicht andere Argumente.

 

In Deutschland wurde TikTok vor allem durch die Social-Media-Zwillinge Lisa und Lena bekannt. Die Stuttgarterinnen haben als Jugendliche Tanz- und Playbackvideos auf der Plattform veröffentlicht und es auf mehr als 32 Millionen Follower gebracht. Mittlerweile sind sie erwachsen – und der Plattform entwachsen. Auch wegen Sicherheitsbedenken beim Jugendschutz sind sie zu Instagram gewechselt. Dort zählen die Zwillinge nun 15 Millionen Abonnenten.

@lisaandlena

I don’t know about you…but I feel better when I’m dancing 🕺🏻💓

♬ Better When I’m Dancin‘ – Meghan Trainor

Zumindest fordern die beiden nun nicht mehr direkt andere Jugendliche heraus, allzu persönliche Videos zu posten, denn eine Duett-Funktion hat Instagram bisher nicht eingerichtet. Mit Instagram-Live-Videos, die zwei Gesprächspartner im Dialog zeigt, zielt die Plattform allerdings in eine ähnliche Richtung.

Zensurvorwürfe und Kritik an Datenschutz

Die Kritik an TikTok ist indes nicht verstummt. Die Plattform gehört der chinesischen Firma Bytedance. Sie hat vor Kurzem eingeräumt, Videos von Nutzerinnen und Nutzern mit Behinderungen und von übergewichtigen oder queeren Menschen seltener ausgespielt zu haben – angeblich als Schutz vor Mobbing. Zudem hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) bei einem anonymen Mitschnitt des Datenverkehrs festgestellt, dass Nutzerdaten mit Facebook und dem Dienst Appsflyer ausgetauscht werden. 

Appsflyer wiederum nennt laut SZ mehr als 4.500 mögliche Partnerfirmen, mit denen die Daten für Kampagnen geteilt werden können. Außerdem sollen übers Moderationssystem von TikTok Videos von Protesten gegen die chinesische Regierung nur gedrosselt ausgespielt worden sein, wie netzpolitik.org kürzlich berichtete.

Tagesschau zeigt News, Hintergrund und Humor

In diesem Umfeld von Sicherheits- und Zensurbedenken haben sich die Macher der Tagesschau dennoch nicht davon abhalten lassen, auf TikTok zu starten. Das Nachrichtenflaggschiff der ARD ging mit einem Post von Sprecher Jan Hofer auf Sendung, der mit einem Drehregler zunächst einmal die virtuell eingeblendete richtige Krawatte auswählte (1,4 Millionen Abrufe). Seitdem erklären eine Anna (ohne Nachnamen), Antje, der Fynn oder auch mal eine Angela (Merkel, „Es ist – ernst“) in schnell geschnittenen Videos, wie mit dem Coronavirus umzugehen ist oder was sonst noch in der Welt passiert. Die Clips sind dabei kein Abfallprodukt aus der täglichen Nachrichtenproduktion der Sendung. Sie sind hochwertig aufbereitete, gerafft dargestellte und aufwendig grafisch animierte Videos – der „Code“ von TikTok wurde offenbar getroffen. 

@tagesschau

Wir sind jetzt auch hier. Was zieht man hier so an? ##tagesschau ##tiktoknewbie ##ootd ##tagesschauoffscreen

♬ My Type – Saweetie

 

Nebenbei gibt es immer wieder Blicke hinter die Kulissen, in denen etwa Sprecher Jan Hofer zeigt, wie er mit einem Gaspedal den Teleprompter steuert (2,3 Millionen Abrufe). Auch für einen Gag ist sich das Tagesschau-Team nicht zu schade: Da sendet der #ehrenjan schon mal die Sendung aus dem Homeoffice, zeigt die Wetterkarte als Zeichnung und beschließt die Sendung mit einem schlimmen Verdacht: Hat er da etwa unterhalb von Sakko, Krawatte und dem erkennbar aus der Hose gezogenen Hemd eine Jogginghose getragen?

Die Machart erfolgreicher Posts

Seither hat sich viel getan. Die Polizei von Nordrhein-Westfalen erzielte Lacher und Aufmerksamkeit mit einem Video zweier Polizisten, die sich statt per Handschlag mit dem Wuhan-Step begrüßen, der gegenseitigen Fuß-zu-Fuß-Begrüßung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist mit einem blauen Verifikationshaken für 1,6 Millionen Follower unterwegs. Eine Erklärgrafik zur Verbreitung des Coronavirus bringt schon mal 17 Millionen Abrufe. Anfangs unerklärliche Hype-Phänomene wie etwa von @charlidamelio (49,5 Millionen Follower) verraten etwas über die notwendige Machart erfolgreicher Post: rasanter Schnitt, überraschende Ton-Bild-Schere, attraktive und authentische Person. Das ist nicht mal eben produziert.

Seither hat sich viel getan. Die Polizei von Nordrhein-Westfalen erzielte Lacher und Aufmerksamkeit mit einem Video zweier Polizisten, die sich statt per Handschlag mit dem Wuhan-Step begrüßen, der gegenseitigen Fuß-zu-Fuß-Begrüßung. Die Weltgesundheitsorganisation WHO ist mit einem blauen Verifikationshaken für 1,6 Millionen Follower unterwegs. Eine Erklärgrafik zur Verbreitung des Coronavirus bringt schon mal 17 Millionen Abrufe. Anfangs unerklärliche Hype-Phänomene wie etwa von @charlidamelio (49,5 Millionen Follower) verraten etwas über die notwendige Machart erfolgreicher Post: rasanter Schnitt, überraschende Ton-Bild-Schere, attraktive und authentische Person. Das ist nicht mal eben produziert.

@who

For accurate information on ##covid19 follow official advice from your country’s public health authority & WHO.

♬ original sound – who

Tempo und Kreativität gefragt

Der Algorithmus von TikTok sortiert die Posts anderer in der Timeline nicht nach Freundeskreisen, sondern nach persönlichen Vorlieben, eigenen Likes und Themen, die man sich länger angesehen hat. Wie genau der Algorithmus funktioniert, verrät auch TikTok nicht. In der Rubrik „Entdecken“ tauchen dann auch Hashtags auf, die offenbar gerade angesagt sind und auf den einzelnen Nutzer zugeschnitten ausgewählt wurden. Der weltweit überaus populäre Hashtag #littledance wird dann etwa in Deutschland durch #elterntipps ergänzt – mit ernsthaften Servicetipps für gestresste Eltern ebenso wie mit lustiger Satire. 

Diese Hashtag-Struktur ist es letztlich, die ein Eindringen von Firmen und Unternehmen in die Zuschauerwelten auf TikTok ermöglicht. Dabei kommt es auf Tempo und Kreativität an. Unter dem Hashtag #sono versammelt sich beispielsweise eine wachsende Zahl an Posts, die exakt passend im Rhythmus eines Musikstücks Antworten auf eine selbst gestellte Frage geben. Hier durch ein kreatives Posting aufzufallen, ist die Aufgabe. Eine Alternative ist, wie bei Instagram auf Influencer zu setzen oder zumindest von ihnen zu lernen, aus dem deutschsprachigen Raum etwa @falcopunch, @annacatify oder @dialia. Ihnen allen gemein ist eine Eigenschaft, die  viele Nutzer gerade in schweren Zeiten besonders schätzen: Humor. Ihre Clips machen das Leben leichter.

Muss man als Unternehmen auf TikTok unterwegs sein? 

In Deutschland erreicht die Video-Plattform laut jüngsten Zahlen von TikTok Deutschland täglich 5,5 Millionen aktive Nutzer. 60 Prozent davon sind männlich (Stand: Ende 2019). Sie sollen im Schnitt zehnmal am Tag die App öffnen und insgesamt 50 Minuten am Tag auf TikTok unterwegs sein. Vergleichen wir TikTok mit anderen Plattformen, die längst zum Standardrepertoire in Marketing und Unternehmenskommunikation gehören, ergibt sich folgende Einordnung: Mit seinen 5,5 Millionen täglich aktiven Nutzern ist TikTok inzwischen erfolgreicher als Twitter (1,4 Millionen täglich aktive Nutzer) und Snapchat (3,5 Millionen), reicht aber noch nicht an Instagram (9 Millionen) und Facebook (23 Millionen) heran. 

 

Sie wollen mehr über die chinesischen Internet-Giganten Baidu, Alibaba und Tencent erfahren?

Gina Hardebeck erklärt, wie sich diese Plattformen von Facebook, Google & Co. unterscheiden und worauf es beim China-Marketing ankommt. Lesen Sie jetzt das Interview „Für China braucht man einen langen Atem“.

Allein diese – wohlgemerkt nur auf Deutschland bezogenen – Nutzerzahlen deuten darauf hin, warum in jedem Unternehmen zumindest die Diskussion geführt werden sollte, ob ein eigener TikTok-Account eingerichtet werden soll. Für die Plattform sprechen das aktuell rasante Wachstum, eine junge Zielgruppe, die über andere Unternehmenskanäle nicht oder nur bedingt erreicht werden kann, und die Chance, ein anderes Gesicht seines Unternehmens zu zeigen – vor allem wenn Mitarbeiter aktiv in die Produktion der Videos einbezogen werden. Gerade im Bereich Employer Branding verspricht TikTok enormes Potenzial.

Auf der anderen Seite müssen sich die Kommunikationsverantwortlichen mit einigen Contra-Argumenten auseinandersetzen: Bedenken beim Datenschutz und fragliche Moderationsregeln sind zwei dieser kritischen Punkte. Ehrlicherweise gewinnen Facebook und Co. in diesen Punkten ebenfalls keinen Preis für ihre Transparenz.

@mercedesbenz

Ever seen a car dance before? Follow Mercedes-Benz on TikTok! ##mercedesbenz ##mercedes ##dancingcar

♬ original sound – mercedesbenz_official

Darüber hinaus darf der nötige Aufwand nicht unterschätzt werden, um auf der Plattform nennenswerte Abrufzahlen zu erreichen. Mercedes-Benz etwa ist dort seit Mai 2019 aktiv, eröffnete mit einem tanzenden Auto seine Aktivitäten auf der Plattform und kommt mittlerweile auf 96.400 Follower weltweit. Zum Vergleich: Auf Instagram zählt der Autohersteller mit seinem Hauptaccount 26 Millionen Abonnenten. 

 

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